Musterknaben und Idioten

Die deutsche Nationalmannschaft trat beim 4:1 gegen die Slowakei noch kompakter und forscher auf als in der WM-Sommermärchenzeit. Kompakt und forsch waren leider auch gewaltbereite Fans

Im Begleittross einer perspektivreichen deutschen Mannschaft sind leider immer wieder Hooligans und Gewalttäter

AUS BRATISLAVA MARKUS VÖLKER

Das Stadion „Tehelné Pole“ ist ein alter Kasten, und so war auch der Kontaktbereich zwischen Spielern und Journalisten nicht wirklich schick. Viele Nationalkicker mieden die Zone nach dem 4:1-Sieg gegen die Slowaken. Lukas Podolski aber ging forschen Schritts auf die Kameras zu und sprach mit sehr lauter Stimme.

Der Mann, der an diesem Abend zwei Tore geschossen hatte, wollte auch vor den Reportern Stärke demonstrieren. „Ich hab jeden Tag Spaß am Leben und auch heute wieder gehabt“, sagte der Angreifer des FC Bayern München. „Ich mach mir auch keinen Kopp um Sachen, so’n Typ bin ich nicht.“ Ein bisschen schien er sich nach seinem Platzverweis im Testspiel gegen Georgien und Bankaufenthalten in der Bundesliga doch die Rübe zerbrochen zu haben, denn in doppelter Lautstärke verkündete er: „Isch hab keine Krise.“ Und wer ihm dumm kommen wolle oder ihm irgendetwas zu sagen habe, der solle zu ihm kommen und ihm die Kritik ins Gesicht sagen. Da kam postpubertärer Ärger über Michael Ballack hoch, der „Prinz Poldi“ nach seiner Roten Karte mahnende, aber grundsätzlich wohlmeinende Worte mitgegeben hatte.

Bundestrainer Joachim Löw wollte sich mit diesem kleinen Zwist nicht lang aufhalten, zumal er Podolski für ein „Juwel“ hält und ihm gewisse Fehler zugesteht. Löw bezog sich lieber auf eine Partie, die kaum besser hätte laufen können. Der Elan der Weltmeisterschaft konnte anscheinend haltbar gemacht werden. Bei jedem neuen Auftritt wird der Geist aus der Flasche gelassen. Doch das Team schöpft nicht nur Kraft aus der Konserve. Die Elf trat am Mittwochabend in Bratislava noch kompakter und forscher auf als in der Sommermärchenzeit. 23:1 lautet Löws Bilanz nun nach fünf Siegen in Serie. „Es war wichtig, auch auswärts eine Klasseleistung abzurufen, das ist uns eindrucksvoll gelungen“, sagte er. Besonders die erste Halbzeit lief nach seinen Wunschvorstellungen. „Das war imponierend, was das Spielerische anbetrifft.“

Löws Vorbeter Jürgen Klinsmann hatte in einer WM-Nachbetrachtung die erste Halbzeit des Spiels gegen Schweden als mustergültig gelobt und sie als Schablone für kommende strategische Experimente empfohlen, doch nach diesem EM-Quali-Match muss man konstatieren: Diese 45 Minuten übertrafen das Schweden-Match. Das Pass-Spiel funktionierte anfangs auf dem Niveau des FC Arsenal. Die Abwehr erschien nicht nur dem Bundestrainer „wie eine Mauer“. Im Mittelfeld wurde flink kombiniert. Und war zu viel Betrieb im Zentrum, wich das Team auf die Außenpositionen aus, vor allem auf den rechten Flügel, wo Miroslav Klose, Bernd Schneider und Clemens Fritz Flanken schlugen. Bereits in der Halbzeit verfassten Radio- und TV-Kommentatoren Lobeshymnen auf die Elf. Wobei man nicht vergessen dürfe, sagte Ballack nach dem Spiel, dass der Gegner „mit breiter Brust aufgelaufen ist“. Zuletzt hatten die Slowaken Wales mit 5:1 besiegt. „Wir haben am Limit gespielt“, schwärmte der Kapitän, „von den Laufwegen her, der Ruhe am Ball, dem Positionsspiel.“

Der Brückenschlag von der WM zur EM-Qualifikation ist also geglückt. Kontinuität, das ist der Garant des Erfolgs. Das ist auch Lukas Podolski klar. „Viele haben nach der WM gesagt, dass wir das Niveau nicht halten, aber wir spielen weiter Fußball.“ Ballack sah das ganz ähnlich; in diesem Punkt waren sich beide ziemlich einig: „Wir haben bei der WM angefangen und machen jetzt weiter.“ Signale von Selbstzufriedenheit hat Coach Löw nach dem WM-Hype nicht ausgemacht; sie unterdrückt zu haben, ist wohl sein vorrangiges Verdienst. Nicht mal „ein Stück weit Überheblichkeit“ habe er in den Wochen danach ausmachen können. „Ich konnte nicht im Ansatz spüren, dass da so etwas da war.“ Warum sich die Elitekicker nicht auf den Erfolgen ausruhen und an der Bewunderung laben? Weil sie, so simpel das auch klingen mag, auf ihre Stärken bauen und Spaß am Spiel haben. Warum sollten sie die Zügel schleifen lassen, wenn sie so einen Auftritt hinlegen können? Keine Frage, dass auch der slowakische Coach, Dusan Galis, beeindruckt war. „Sie haben eine Mannschaft mit einer großen Perspektive.“ Galis ist einen Tag nach der Niederlage seiner Mannschaft von seinem Trainerposten zurückgetreten.

Im Begleittross dieser perspektivreichen Mannschaft sind freilich immer wieder „Wirrköpfe“, wie Löw sagte, sprich: Hooligans, Gewalttäter, Idioten. Auch nach Bratislava hatten es mehrere hundert geschafft, etwa zweihundert sogar ins Stadion „Tehelné Pole“; 81 wurden von der Polizei an der Einreise in die Slowakei gehindert. Während Anhänger des „Fanclubs Nationalmannschaft“ in weißen Shirts des DFB-Teams recht manierlich ihr Programm im Stadion abspulten, hatte der Hardcore-Trupp in einem umzäunten Bereich gegenüber Stellung bezogen. Sie hatten weitgehend auf Fan-Utensilien verzichtet und trugen Hooligan-Uniform: Kapuzenshirt, Jeans, Sneakers. Einige waren vermummt und zeigten beim Abspielen der deutschen Nationalhymne den Hitlergruß. Später waren aus dem Block üble Schmähungen zu hören; „Zigeunerpack“ wurde gerufen.

Slowakische Hooligans, die sich in Wurfweite der Deutschen positioniert hatten, antworteten offenkundig mit „Juden“. In der Halbzeit kam es zu ersten Ausschreitungen, deutsche Hooligans hatten Sicherheitsleute angegriffen. Etwa 40 bis 50 Polizisten und Security-Personal, bewehrt mit Schlagstöcken, stürmten den Block und trieben die deutschen Sportfreunde zusammen, was diese nicht daran hinderte, auch in der zweiten Halbzeit Rabatz zu machen, Stühle zu demontieren und sie als Wurfgeschosse zu benutzen.

Diese Ausschreitungen haben auf Auslandsreisen der DFB-Elf traurige Tradition. Ob in Rotterdam, Florenz oder Bratislava – die Randale extremer Fangruppen ist sicher. Obwohl die Grenzkontrollen diesmal streng waren und deutsche Zivilbeamte auch vor dem Spiel mehrfach die Papiere von verdächtigen Fußballreisenden kontrollierten, war es offensichtlich nicht zu verhindern, dass Hools im freien Verkauf Karten erstehen konnten. Der DFB hatte genau das verhindern wollen. „Gegen unseren dringenden Rat an den slowakischen Fußballverband wurden diese Tickets verkauft“, sagte Pressechef Harald Stenger und fügte hinzu: „Wir schämen uns für sie (die Gewalttäter, d. Red.), wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.“ Löw bekannte seine Hilflosigkeit: „Wir können nicht mehr tun, als mal einen Aufruf zu machen.“ Einen gegen Rassismus hatte es vorm Spiel gegeben. Gebracht hat er wenig.

Auch im Anschluss ans Spiel gab es in der Nähe des Stadions Auseinandersetzungen. Ein Polizist wurde verletzt. Die Fensterscheibe einer Tankstelle ging zu Bruch. Mehr als 30 Hooligans wurden von der Polizei festgenommen, fünf davon blieben in Gewahrsam. Die nächste Reise wird für den mobilen deutschen Schlägertrupp etwas teurer: Am 15. November spielt das DFB-Team in Nikosia auf Zypern.

Slowakei: Contofalsky - Peter Petras (72. Holosko), Varga, Skrtel, Durica - Karhan, Kozak (65. Hodur), Martin Petras, Mintal, Svento, VittekDeutschland: Lehmann - Fritz, Arne Friedrich, Manuel Friedrich, Lahm - Schneider (76. Odonkor), Frings, Ballack, Schweinsteiger (76. Trochowski) - Klose, Podolski (85. Hanke) Zuschauer: 21.000Tore: 0:1 Podolski (13.), 0:2 Ballack (25.), 0:3 Schweinsteiger (36.), 1:3 Varga (58.), 1:4 Podolski (72.)Gelbe Karten: Martin Petras, Peter Petras / Fritz